Trinità - Testa Brusà
Abwechslungsreiche Runde auf meist einfach zu begehenden Wegen über dem Val Malone, ein abgeschiedenes und ursprünglich gebliebenes Tal am Alpenrand, was bei dem Ort Corio in die piemontesische Tiefebene mündet.
Wie viele andere piemontesische Alpentäler ist auch das Val Malone stark von Abwanderung und Landflucht betroffen, an dieser Tatsache ändert auch die Nähe zur Po-Ebene nichts. Gemessen an den Zahlen des Jahres 1900 haben die beiden talobersten Dörfern Ritornato (851 m) und Piano Audi (867 m) in den letzten 120 Jahren mehr als 90% ihrer Einwohnerzahl verloren. Trotz der Abwanderung sind die Spuren und Erinnerungen der einstigen Besiedelung vielerorts zu sehen. Aufgrund der Nähe zur Ebene und der damit verbundenen schnellen Erreichbarkeit werden in einigen Orten überdurchschnittlich viele Häuser noch instandgehalten. Sie werden allerdings nur noch am Wochenende oder in den Ferien aufgesucht, recht häufig von den Nachfahren der früheren Bewohner. Einige wenige Bauern sind bis heute geblieben, ein paar Höfe werden noch bewirtschaftet, manchenorts werden im Sommer noch Tiere auf die Weiden getrieben. Bis auf lokale Aktivitäten haben sich im Val Malone keine nennenswerten touristischen Strukturen entwickelt. Im Jahr 2015 wurde die „Associazione Sentieri Alta Val Malone“ gegründet, der Verein hat mittlerweile 700 Mitglieder, darunter etwa 60 Freiwillige, die sich ehrenamtlich um die Wege im Tal kümmern. In den letzten Jahren wurden unzählige im Laufe der Zeit zugewachsene Saum- und Verbindungswege wieder freigeschnitten und begehbar gemacht sowie im Gelände markiert. In unzähligen Arbeitsstunden hat man Bäume gefällt, umgestürzte Mauern wieder aufgeschichtet und Brücken über Bäche gebaut. Wander- und Mountainbikerouten wurden ins Leben gerufen und in Prospekten und im Internet publiziert, nähere Infos unter https://www.sentierivalmalone.it/ (auch in deutscher Sprache). Anstatt in einem Dornröschenschlaf zu versinken, erfährt das Tal in der Folge einen gewissen Zuspruch als lokales Naherholungsgebiet. Davon profitiert wiederum die örtliche Infrastruktur, entlang der Wege gibt es einige familiär geführte Gasthäuser, wo man vorzüglich essen gehen kann. Wer lokale Produkte wie z.B. Alpkäse kaufen möchte, findet in Corio, dem Gemeindezentrum am Talausgang, alles was man braucht. Auch in Piano Audi gibt es noch einen kleinen inhabergeführten Dorfladen.
Ausgangspunkt dieser Wanderung ist das kleine Dorf Trinità, ein abgelegener Ortsteil von Corio auf einer sonnigen Anhöhe über dem Val Malone, der nur aus wenigen Häusern besteht. Allein das archaisch anmutende Bergnest ist im Grunde genommen schon einen Ausflug wert. Man fühlt sich in eine andere Zeit zurückversetzt, eine historische Kirche, ringsherum uraltes Gemäuer, an einigen Häusern nagt bereits der Zahn der Zeit. In einer Gasse gackern ein paar Hühner, ansonsten rührt sich hier nicht viel. Einst pulsierte hier das Leben, mittlerweile ist das Dorf nahezu verlassen. Die Einstellung der traditionellen Berglandwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Abwanderung haben den Ort geleert. Nur eine ältere Frau ist bis heute geblieben, sie und ihre Hühner und Hunde halten hier oben die Stellung. Ein paar Kühe sind auch noch da, aus dem grossen Stall nebenan vernimmt man Glockengebimmel, der Bergbauer, dem die Tiere gehören, lebt jedoch unten im Tal. Es ist der Charme des Vergänglichen, der solche Orte liebenswert macht. Auf dem Dorf lastet jedoch ein scheinbar unabwendbares Schicksal. Es ist leider traurige Realität, dass abgelegene Orte wie Trinità in unserer heutigen modernen und schnelllebigen, oft auf permanentem Wachstum ausgerichteten Arbeits- und Alltagswelt aufgrund ihrer schlechten Erreichbarkeit und fehlender Infrastruktur kaum noch eine Zukunft haben und letztendlich als Dauersiedlungsraum aufgegeben werden.
Bei der oberen Häusergruppe folgt man dem Wegweiser Richtung Colle Matteo und Colle del Bandito. Es geht zunächst einen grasigen Hang hinauf, dann führt der Weg durch einen jungen Stangenwald. Grosse Flächen in der Umgebung von Trinità waren einst gerodet und wurden als Viehweiden oder als Mähwiesen genutzt, allmählich werden sie von der Natur zurückerobert. Wenig später erreicht man den kleinen Weiler Case d‘Aggiorgio (1020 m). Eine handvoll Häuser, einige davon gammeln vor sich hin, andere wiederum werden noch gepflegt und instandgehalten und vermutlich nur noch am Wochenende oder im Sommer bewohnt, auch hier scheint niemand mehr dauerhaft zu leben. Hinter einem der Häuser verschwindet der Weg in einer hohlen Gasse, von dort wandert man zwischen hohen Trockensteinmauern in wenigen Minuten zum Colle Matteo (1035 m), der sich mitten im Wald befindet. Buchen und Birken dominieren das Geschehen, eine rustikale Picknickbank lädt zum Verweilen ein. Die wunderschöne Mulattiera (= Saumweg oder Maultierweg) windet sich weiter sanft ansteigend den Wald hinauf, später knickt der Weg Richtung Norden ab. An einer Wegverzweigung folgt man der Beschilderung Richtung Cappella del Bandito und San Bernardo. Nach einer Weile mündet die Mulattiera bei einem einzelstehenden Bildstock in einen unbefestigten Fahrweg. Auf diesem geht es nun einige Höhenmeter bergab, vorbei an den Wochenendhäusern von Gamba, zwei grosse Anwesen auf einer schönen Lichtung im Wald. Weiter unten verlässt man in einer Kehre das Fahrsträsschen und wandert ohne nennenswerte Höhenunterschiede weiter nach Case Ser, ein einzelstehendes Wohnhaus mit einem Holzschuppen auf einem riesigen eingezäunten Gelände. Jenseits davon mündet der Weg erneut in eine unbefestigte Alpstrasse, diese windet sich nun in zahllosen Kurven den Birkenwald hinauf. Nach einer Dreiviertelstunde kommt man zu einer kleinen Verebnungsfläche, wo ein markierter Pfad abzweigt, auf diesem erreicht man in Kürze das sanft gewellte Gipfelplatau der Testa Brusà (1351 m). Ringsherum ein paar verstreute windzerzauste Birken, ein Gipfelkreuz oder einen Steinmann sucht man hier oben vergeblich, dafür gibt es eine hölzerne Sitzbank, von der man in aller Ruhe die tolle Aussicht geniessen kann. Die nahe Tiefebene liegt einem zu Füssen, mittendrin das Häusermeer der nur 30 km entfernten Millionenmetropole von Turin. Im Westen die Berge der Valli di Lanzo, im Osten der Alpenrand mit dem Alto Canavese, im Süden zeigt sich der Monviso (3841 m), der höchste Berg der Cottischen Alpen, bei klarem Wetter blickt man bis in die Seealpen. Die Testa Brusà ist die letzte nennenswerte Erhebung auf dem etwa 5 km langen Grat, der sich vom Monte Soglio Richtung Süden erstreckt und schliesslich in die Po-Ebene ausläuft.
Für den Abstieg bieten sich mehrere Möglichkeiten an. Entweder man kehrt auf dem Aufstiegsweg nach Trinità zurück, hier lohnt ein kleiner Schlenker zur Cappella del Bandito, eine sehenswertes Kirchlein auf dem gleichnamigen Pass. Oder man erweitert die Tour zu einer Rundwanderung. Vom Gipfel kehrt man zunächst in wenigen Minuten auf dem Aufstiegsweg zu der unbefestigten Alpstrasse zurück. Auf dieser nun über den flachen Gratrücken Richtung Norden, die Alpstrasse geht nach einer Viertelstunde in einen Pfad über. Wenig später verlässt man den Grat und steigt Richtung Westen ab, der markierte Pfad mündet 150 Höhenmeter weiter unten in den alten Alpweg, der vom Colle Matteo heraufkommt (Weg 416B). Auf diesem ein kurzes Stück Richtung Colle Matteo, vorbei an den verfallenen Hütten der Alpe Losera (1200 m), dann zweigt bei einem Wegweiser rechts ein Pfad ab, der steil hinab nach Case Andrè führt. Von Case Andrè erreicht man in 20 Minuten das Dorf Piano Audi (867 m), die taloberste Dauersiedlung des Val Malone. In Piano Audi und den umliegenden verstreuten Weilern lebten um die vorletzte Jahrhundertwende noch etwa 900 Menschen, heute sind es gerade mal 30 dauerhafte Bewohner. In der sympathischen Dorfkneipe an der Hauptstrasse kann man einkehren und vorzüglich essen. Von Piano Audi kehrt man auf dem wunderschönen alten Saumweg in einigem Auf und Ab über Case Gobbio und Case Muggion nach Trinità zurück.
- März bis November, bei wenig Schnee auch in den Wintermonaten
- T2
- Gehzeiten:
3,5 Std. (Abstieg auf dem Aufstiegsweg)
4,0 Std. (mit Abstecher zur Cappella del Bandito)
5,5 Std. (Rundwanderung über Piano Audi) - Höhenunterschiede:
ca. 500 m
ca. 600 m (Rundwanderung über Piano Audi) - Ausgangs- und Endpunkt: Trinità (Frazione di Corio, 911 m). Zufahrt von Corio (6 km), zunächst der Beschilderung Richtung Piano Audi folgen, in einer Kehre hinter dem Ort Molino dell‘Avvocato rechts abbiegen (Wegweiser Richtung San Bernardo), nach weiteren 2 km links abbiegen und der Beschilderung Richtung Case Loia und Trinità folgen, die letzten 500 m sind nicht mehr asphaltiert.