Bracchiello - Monterosso - Case Belfe - Monti di Voragno
Rundwanderung im unteren Val d‘Ala auf kaum mehr begangenen alten Saumpfaden, eine wunderschöne Tour durch stille und lauschige Wälder, ganz besonders lohnend im Frühling und im Herbst.
Ausgangspunkt der Wanderung ist das kleine Bergdorf Bracchiello (875 m), ein Ortsteil von Ceres, der nur noch von wenigen Menschen bewohnt ist. Bis auf die wenigen Häuser entlang der Talstrasse ist das Dorf nur über Gassen und Treppen zugänglich, der eigentliche Ortskern mit der Kirche befindet sich ein wenig oberhalb auf einem sonnigen Hang an der Südflanke des Val d‘Ala. Eine schmale Stichstrasse führt in Kürze hinauf bis zum Parkplatz am Rand des Dorfes.
In Bracchiello leben heute nur noch 5 Personen dauerhaft, sagt zumindest einer der verbliebenen Bewohner. Er wurde 1936 geboren und hat sein ganzes Leben im Dorf verbracht. Es ist unterhaltsam und spannend, seinen Erzählungen zu lauschen: „Die Zeiten haben sich geändert“, sagt er, „früher hatte Bracchiello über 100 Einwohner, in jedem Haus lebten zwei oder drei Generationen unter einem Dach, es gab sogar eine Dorfschule. Die Menschen lebten von der Land- und Viehwirtschaft, jeder Meter in der Umgebung des Dorfes war kultiviert und gepflegt, heute verwildert alles, weil niemand mehr die Wiesen mäht. Früher sind sie in die abgelegensten Ecken gestiegen, mit der Sichel, damit das Vieh Futter für den Winter hatte. Schaue mal, den Wald über dem Dorf gab es noch nicht, als ich jung war, dort wurden einst Kartoffeln angepflanzt und mühsam bewässert. Nach dem Krieg sind viele weggezogen, vor allem die Jungen. In den Städten der Po-Ebene fanden sie sofort Arbeit in den Industriebetrieben oder bei Fiat in Turin. Und die, die geblieben sind, sind mittlerweile gestorben. Die Zeiten haben sich geändert“, fast gebetsmühlenartig wiederholt der sympathische alte Mann diesen Satz. „Viele Häuser sind nur noch am Wochenende bewohnt, aber in den letzten Jahren kommen immer weniger, und die jungen Leute haben heute überhaupt kein Interesse mehr an den Bergen. Viele Häuser stehen leer und verfallen, und das seit vielen Jahren“, berichtet er ein wenig wehmütig. „Die Zeiten haben sich geändert, aber ich bin froh, mit 87 Jahren noch gut auf den Beinen zu sein und mich selbst versorgen zu können.“ Mit diesen Worten verabschiedet er sich und trabt die Strasse hinab zu seinem Haus. „Buona serata, ci vediamo, alla prossima“. Eine Begegnung, die man so schnell nicht vergisst.
Die erste Stunde kann man gemütlich vor sich hintraben, auf einem unbefestigten Forstweg geht es zunächst durch einen Kastanienhain hinauf nach Monterosso (1090 m), ein verlassener kleiner Weiler. Eine handvoll Häuser und Ställe, die meisten davon liegen heute in Ruinen. Man blickt auf bröckelndes Gemäuer und morsche Dachbalken, dazwischen wuchern meterhoch die Brennnesseln und noch viel mehr Gestrüpp. Die Zeit ist hier stehengeblieben, nur eine kleine Madonnina und die stählernen Kreuze eines Kunsthandwerkers halten beharrlich die Stellung. Wenig später erreicht man eine grössere Lichtung, der unbefestigte Fahrweg endet bei den Hütten von Case Belfe (1146 m), eine früher in den Sommermonaten bewohnte Alpsiedlung, mit schöner Aussicht auf die Berge des Val d‘Ala. Einige der historischen Gebäude wurden vor einigen Jahren wieder aufgebaut und hübsch renoviert, sie werden heute von den Einheimischen als Wochenendhäuschen genutzt. Die traditionelle Alpwirtschaft wurde hier schon vor vielen Jahrzehnten eingestellt, die nicht mehr genutzten Weideflächen in der Umgebung verbuschen im Laufe der Zeit und werden allmählich vom Wald zurückerobert.
Jenseits der Hütten beginnt ein wunderschöner, teils mit Steinplatten gepflasterter alter Saumweg, der sich in leichtem Auf und Ab durch den Buchenwald schlängelt. Eine Viertelstunde später bleibt der Abzweig zur Rocca Ginepro unbeachtet. Wenig später eine weitere beschilderte Abzweigung, hier lohnt ein kurzer Abstecher nach Belmonte (1096 m), eine aufgegebene kleine Sommersiedlung, die man nach wenigen Minuten erreicht. Lost-Place-Liebhaber kommen hier ganz auf ihre Kosten, man betritt einen gottverlassenen Ort, der nur aus wenigen Häusern und Ställen besteht, die meisten davon fristen ihr unaufhaltsames Schicksal oder liegen mittlerweile danieder. Ein Blick durch eine der offenen Türen offenbart Vergängliches, zurückgelassenes Mobilar und Werkzeuge, ein hölzerner Tisch, ein alter Melkschemel, eine rostige Mistgabel, Überbleibsel aus einer längst vergangenen Zeit. Nur der Brunnen ist noch intakt und plätschert gemächlich vor sich hin, unübersehbar darauf verewigt ist die Jahreszahl 1935. Wann der Ort endgültig verlassen wurde, war nirgendwo zu erfahren. Es ist davon auszugehen, dass das erst in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg geschah, als die traditionelle Bergland- und Alpwirtschaft vielerorts eingestellt wurde. Meist betraf es zu allererst die besonders abgelegenen Siedlungen, die schlecht erreichbar bzw. nicht ans Strassennetz angeschlossen waren. Die Umgebung von Belmonte war früher gerodet und kultiviert, sehr auffällig sind hier die unzähligen ehemaligen, in die steilen Hänge gemauerten Ackerbauterrassen, die heute, viele Jahrzehnte nach ihrer Nutzungsaufgabe, inzwischen wiederbewaldet sind. Ein stimmungsvolles Fleckchen inmitten der Einsamkeit, es ist faszinierend und bedrückend zugleich, durch diesen nahezu verfallenen Ort zu spazieren.
Von Belmonte geht es zunächst wieder zurück zu der erwähnten Abzweigung, der Weiterweg ist nach wie vor gut markiert und nicht zu verfehlen. Der alte Saumpfad ist jedoch nicht besonders gepflegt, einige wenige Abschnitte sind etwas mühsam, mitunter stapft man durch riesige Laubmassen. An einer Stelle sind die seitlichen Stützmauern und in der Folge der halbe Weg weggebrochen, vor allem bei Nässe ist kann es hier und da ziemlich rutschig sein. Man kommt zu einer Gedenktafel auf einem herumliegenden grossen Felsbrocken, die einem verunglückten Jäger gewidmet ist. Von dort schlängelt sich der bisweilen steile Pfad durch herrlichen Kastanienwald hinab zu den westlichen Häusern von Monti di Voragno (973 m). Eine weitere Gebäudegruppe befindet sich nur wenige Schritte entfernt, um dort hinzugelangen folgt man einfach dem grasigen breiten Fahrweg. Monti di Voragno ist eine ehemalige Temporärsiedlung auf einer grossen sonnigen Lichtung über dem unteren Val d‘Ala. Die meisten Anwesen wurden teils aufwendig renoviert und werden heute als Wochenend- oder Feriendomizil genutzt, andere wiederum sind nicht mehr bewohnt und verfallen. Man blickt auf gepflegte Gärten und gemähte Wiesen, vor den Türen und Fenstern stehen Blumentöpfe und allerlei Dekoratives. Mittendrin steht ein kleines Kirchlein mit einer recht eigenwilligen Architektur, kurzum, einfach ein wunderschöner Ort zum Entschleunigen. Bei der westlichen Gebäudegruppe von Monti di Voragno beginnt bei einem Wegweiser der verbleibende Rückweg. Nach einem kurzen Gegenanstieg überwindet der der alte Saumweg eine felsige Steilstufe im Wald auf einer kunstvoll angelegten historischen Treppe. Dann geht es kontinuierlich abwärts, hier und da ist der Pfad ein wenig überwachsen, nach etwa 45 Minuten erreicht man die grosse Wiese am östlichen Ortsrand von Bracchiello.
Als Temporärsiedlung (auch Sommersiedlung oder Maiensäß genannt) bezeichnet man eine Häusergruppe oder einen kleinen Weiler, welcher nur von Frühjahr bis Herbst (temporär) dauerhaft bewohnt ist. Meist im Mai oder Juni (je nach Höhenlage der Siedlung) zogen die Bergbauern mit ihren Tieren von der Dauersiedlung im Talboden in die Temporärsiedlung und bewirtschafteten dort das umliegende Kulturland. Im Hochsommer stiegen Teile der Familie dann weiter auf in noch höher gelegene Alpgebiete jenseits der Baumgrenze, wo das Vieh ideale Weidebedingungen vorfindet, während andere in der Nähe der Dauersiedlung die Feldarbeit erledigten. Im September ging es wieder runter und man lebte nochmals vorübergehend in der Temporärsiedlung, bevor man im Verlauf des Oktobers endgültig in die Dauersiedlung zurückkehrte und dort den Winter verbrachte. Dieses sogenannte dreistufige Nutzungssystem war bis zum Zusammenbruch der Berglandwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg auf der Alpensüdseite weit verbreitet, es existiert bis heute in Reliktform. Das bedeutet, dass einige der noch in den Tälern verbliebenen Bergbauern auch heute noch mit Ihren Kühen, Rindern, Schafen und Ziegen zwischen den einzelnen Höhenstockwerken hin- und herziehen, der früher parallel betriebene Ackerbau wurde jedoch bereits ab den 1950er/1960er Jahren flächendeckend eingestellt.
- meist ganzjährig begehbar, im Winter bei Schnee sind einige Abschnitte heikel bzw. unpassierbar
- T1 bis Case Belfe, im weiteren Verlauf T2
- 3,5 Std.
- Höhenunterschied: ca. 400 m
- Ausgangs- und Endpunkt: Bracchiello (Frazione di Ceres, 875 m)
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