Alpe del Laietto - Lago della Fertà - Gran Lago d'Unghiasse
Lange und kernige Runde zu zwei malerischen Bergseen inmitten einer spektakulären Hochgebirgslandschaft.
Die Nacht weicht dem Tag, ein frischer Wind bläst einem um die Nase, über dem Horizont leuchten rosa Schleierwolken. 1200 Höhenmeter wollen rauf- und runtergestiegen werden, unterwegs gibt es viel zu sehen, man sollte sich früh auf den Weg machen. Vor einem die Hochebene von Alboni, drei verstreute Häusergruppen und die weiss gestrichene Cappella di San Grato, ringsherum saftige Wiesen. Alboni war bis in 1950er Jahre ganzjährig bewohnt, nach dem Zusammenbruch der Berglandwirtschaft war der Ort nahezu verlassen. Heute blickt man auf teils aufwendig renovierte Wochenend- und Ferienhäuser, ausser im Sommer begegnet man hier unter der Woche kaum einer Menschenseele.
Schnell noch die Stiefel schnüren, abmarsch. Beim grossen Brunnen am ehemaligen Waschhaus am Ende der Fahrstrasse geht es los, der Weg ist bestens beschildert und nicht zu verfehlen. Bereits nach wenigen Schritten erreicht man die beiden obersten Häusergruppen von Alboni, Campo della Losa di mezzo (1412 m) und Compo della Losa di sopra (1437 m). Auch hier pompös renovierte Zweitwohnsitze mit meist geschlossenen Türen und Fenstern. Der Weg verschwindet im schattigen Buchenwald und führt in 10 Minuten nach Benne (1466 m), im lokalen Dialekt auch Benes genannt, ein hübsch hergerichtetes Anwesen auf einer sonnigen Lichtung. Auf einem unbefestigten Fahrweg trabt man weiter nach Mea, eine Ansammlung steinerner Hütten auf einem aussichtsreichen Geländerücken. Eines der Gebäude wurde vor einigen Jahren wieder aufgebaut, von den meisten anderen stehen nur noch die Grundmauern. Mittlerweile ist es hell, die Gipfelkulisse am Alpenhauptkamm über dem Talschluss leuchtet der warmen Morgensonne. Ein idyllisches Fleckchen inmitten der Stille. Doch ein Blick über den Tellerrand offenbart Vergängliches. Mea ist eine ehemalige Alp, hier wurden einst gelebt und gearbeitet, Felder bewirtschaftet, Kühe und Ziegen gemolken. Zurück bleiben stumme Zeitzeugen, verwildertes Weideland und jahrhundertealtes Gemäuer.
Die nächsten 20 Minuten sind wenig fordernd, auf dem Schottersträsschen bleibt der Puls entspannt, ausser Bäumen lenkt nichts ab. Dann die Hütten von Vaccheria (1630 m), hier zweigt ein alter Alpweg ab, er führt zuerst durch Kiefernwald, dann durch eine schmale Lichtung entlang einer Felswand, fast wie in einer hohlen Gasse. Nach einem Bildstock gibts frei Sicht, ein paar verfallene Hütten und eine kurze Verschnaufpause. Weiter oben wird es steinig, die Gegend ist übersät von herumliegenden Felsbrocken, die teils gepflasterte Mulattiera windet sich mitten hindurch. Auf einmal wird es flacher, das Tal öffnet sich, vor einem das einsame Vallone di Unghiasse mit dem Pian delle Riane (1779 m), eine riesige Hochfläche inmitten eines beeindruckenden Talkessels, der im Laufe von Jahrmillionen von eiszeitlichen Gletschern ausgehobelt wurde. Ringsherum ungebändigte Natur, der Rio Unghiasse mäandert in grossen Schleifen friedlich vor sich hin. Saftige Wiesen, soweit das Auge reicht, mittendrin ein paar verstreute Hütten und Ställe. Wer im Frühsommer hier rauf kommt, spaziert durch riesige Kolonien von Schlangenknöterich, auch Wiesenknöterich genannt, dieser spriesst besonders üppig an den Ufern von Gewässern und auf Feuchtwiesen.
Die Marschrichtung lautet weiterhin bergwärts, vor einem noch knapp drei Stunden Aufstieg mit mehr als 750 m Höhenmeter. Ein hölzernes Schild mit der Aufschrift „Laghi“ weist den rechten Weg, am südlichen Ende der Hochebene überquert man den Rio Unghiasse. Eine Brücke gibt es hier nicht, bei hohem Wasserstand bzw. nach tagelangen Regenfällen müssen hier evtl. die Schuhe ausgezogen werden, was aber eher selten vorkommt. Jenseits des Baches führt der einfach zu begehende Alpweg zwischen vereinzelten Lärchen hinauf ins obere Vallone di Unghiasse, mit schönen Tiefblicken auf den Pian delle Riane. Bei den Ruinen von Miandetto wird der Weg flacher, wenig später kommt man zu den Hütten der Gias Vecchio (2142 m), in der Nähe eine kleine Hochweide mit einem riesigen Steinmann, der wie ein Monument über dem Tal trohnt. Der Weg knickt Richtung Nordwesten ab, immer wieder plätschern Seitenbäche und kleine Rinnsale zu Tal. Weiter oben die Alpe del Laietto (2298 m). Hundegebell durchdringt die Stille. Die Hütehunde sind harmlos und machen nur viel Lärm um nichts, wenn der Maremmano Abruzzese, ein grosser Herdenschutzhund mit weissem Fell, hier allerdings frei herumlaufen sollte, macht man besser einen grossen Bogen um die Alp. Mit ihm ist nicht zu spassen, auch wenn er instinktiv nur die Ziegenherde beschützen will. Ansonsten kommt man hier an einen heimeligen Ort, wo man sich sofort wohlfühlt. Aus einem der Schornsteine dringt dichter Rauch, der anwesende Hirte grüsst freundlich und bietet sofort Kaffee an. Die wunderschön gelegene Alp wird von Juli bis September von einer Bauersfamilie aus der Tiefebene bewirtschaftet. Ein Leben in völliger Einsamkeit und Bescheidenheit, als Behausung reicht eine spartanisch eingerichtete Alphütte, an der bereits der Zahn der Zeit nagt. Schmucklos aber funktional das Ambiente in der Stube, ein grosser Küchentisch, knarzende alte Stühle, ein Gasherd, drei primitive Betten und eine Feuerstelle, alles ist noch so wie anno dazumal. Elektrischen Strom, einen Fernseher, Dusche oder andere Erungenschaften des modernen Lebens gibt es hier oben nicht. Auch keine Zufahrtsstrasse, alle Dinge des täglichen Bedarfs müssen in stundenlangen Märschen auf dem Rücken der Pferde transportiert werden. Es riecht nach Stall, vor den steinernen Hütten Milchkannen, Melkschemel und Mistgabeln, Schweine suhlen sich quiekend im Dreck, hier gibt es viel zu sehen, das einfache Leben auf der Alp, hautnah. In der Umgebung stehen Kühe, Rinder, Schafe und Ziegen und Pferde auf den Weiden, wenige Schritte entfernt der idyllische Lago del Laietto. Die Zeit verrinnt.
Jenseits der Alp teilen sich die Richtungen, der deutliche Weg, der weiter zu den Laghi d‘Unghiasse führt, bleibt links liegen. Bis zum Ziel ist es nicht mehr weit, noch eine Dreiviertelstunde, das grossartige Panorama versüsst einem den verbleibenden Aufstieg. Auf nicht immer klar ersichtlichem Weg geht es hinauf zu den westlich gelegenen Ruinen der Alpe Giornate di Punta (2395 m), wenig später erreicht man eine kleine Verebnungsfläche und überquert einen Bergbach. Auf der orografisch linken Seite des Baches wandert man nun auf spärlichen Pfadspuren über grasige Matten ein karges Hochtal hinauf, die beeindruckend schöne Gegend ist übersät von Steinen und Felsbrocken. Orientierungsprobleme bestehen hier nicht, Steinmännchen und vereinzelte verblichene Markierungen weisen den richtigen Weg. Weiter oben die beiden Gebäudegruppen der Alpe Becco degli Uccelli (2514 m, 2525 m), steinerne Relikte aus einer längst vergangenen Epoche. Einige der Hütten und Ställe sind noch intakt, auf den umliegenden Weiden grast eine Herde Kühe, die von der Alpe del Laietto hier hinaufgetrieben wurde. Nur noch wenige Schritte, dann fällt der Vorhang, eine kleine Hochfläche, darin eingebettet der bläulich schimmernde Lago della Fertà (2557 m). An dem malerischen Bergsee kann man erstmal die Seele baumeln lassen, genau der richtige Ort zum Entschleunigen. Einfach hinsetzen und der Stille lauschen. Das Ufer ist übersät von weissen Wollgras, ringsherum Berge mit wenig bekannten, aber klangvollen Namen: Punta Fertà (2781 m), Monte Bellagarda (2900 m) und Monte Unghiasse (2939 m), an deren Flanken breiten sich riesige Schutthalden aus.
Der Abstieg verläuft bis Vaccheria auf dem Aufstiegsweg. Sehr lohnend ist jedoch noch ein kurzer Schlenker zum Gran Lago d‘Unghiasse. Vom Lago della Fertà (2557 m) steigt man Richtung Osten in wenigen Minuten zwischen einzelnen Felsbrocken auf einen kleinen Sattel auf einem Geländerücken, auf der anderen Seite geht es auf teils steinigem Weg hinab zum bereits von weitem sichtbaren Gran Lago d‘Unghiasse. Bei dem hier im Hochsommer häufig vorkommenden Nebel sollte man aufpassen, dass man die bisweilen wenig ausgeprägte Pfadspur nicht aus den Augen verliert. Auch hier erwartet einen eine grandiose Kulisse, Glück kann man nicht kaufen, aber man kann es sich erwandern, der Weg dorthin führt wie immer ins touristische Abseits. Der Gran Lago d‘Unghiasse (2494 m) ist der grössere der beiden Laghi d'Unghiasse (der kleinere befindet sich ca. einen Kilometer weiter östlich), eingebettet in einem steinigen Kessel inmitten einer beeindruckenden Hochgebirgslandschaft. Das 500 m lange, 180 m breite und bis zu 40 m tiefe Gewässer ist der grösste natürliche See der drei Lanzo-Täler, er befindet sich am Fuss des Monte Unghiasse (2939 m), unweit der Wasserscheide zwischen dem Val Grande di Lanzo und dem nördlich gelegenen Valle Orco.
Nun geht es nur noch bergab. Der Kopf ist voller schöner Bilder, unter den Füssen ein nun guter und bequem zu begehender Alpweg. Nach einer halben Stunde ist man zurück auf der Alpe del Laietto (2298 m). Alla prossima – bis zum nächsten Mal, ruft der freundliche Hirte noch hinterher, dann empfängt einen wieder wohltuende Stille. Die Knie leisten spürbar Arbeit, der etwa zweistündige Abstieg zum Pian delle Riane und weiter nach Vaccheria ist identisch mit dem Aufstiegsweg, aber kein bisschen langweilig. Andere Tageszeit, anderes Licht, andere Stimmung, die schroffe Westflanke des Monte Gran Bernardè leuchtet in der Nachmittagssonne. Bei den Hütten von Vaccheria (1630 m) ist das gröbste geschafft, die Beine sind müde. Gemütlichen Schrittes folgt man eine Weile der unbefestigten Fahrstrasse Richtung Westen. Bei den Weiden von Piane di mezzo (1593 m) verlässt man diese wieder und geht weglos über die Wiesen hinab nach Piane di sotto (1520 m), eine verwaiste Alp auf einer sonnigen Lichtung. Hier weilt noch der gute Geist von Domenico, der hier bis zum Jahr 2020 lebte, Sommer für Sommer, ganz alleine, inmitten der Einsamkeit. Ein liebenswerter Mann und ein Urgestein der Berge, leider verstarb er ein Jahr später im Alter von 87 Jahren. Zurück bleiben Erinnerungen. Vor seiner Hütte liegt fein säuberlich gestapeltes Brennholz, daneben ein rostiger Eimer und Blumentöpfe, in denen einst Geranien blühten. Der Brunnen plätschert wie immer vor sich hin, alles ist noch so, wie es war. Der Weg verschwindet im schattigen Buchenwald und windet sich in Kürze hinab nach Alboni, wo man bei einem Bier oder einem Glas Wein die Wanderung angemessen ausklingen lassen kann.
- Juni bis Oktober – nur bei gutem und beständigem Wetter
- T2
T3 auf wenigen kurzen Abschnitten - 8,0 Std.
- Höhenunterschied:
1230 m - Ausgangs- und Endpunkt:
Alboni (Frazione di Groscavallo, 1390 m), Zufahrt von Pialpetta über eine schmale und kurvenreiche Bergstrasse
Alboni - Mea - Pian delle Riane - Alpe del Laietto - Lago della Fertà - Gran Lago d‘Unghiasse (20.10.2020)
Alboni - Pian delle Riane - Alpe del Laietto (03.04.2021)
Alboni - Pian delle Riane - Alpe del Laietto (30.06.2021)
Alboni - Pianè di sotto - Pian delle Riane - Alpe del Laietto - Lago della Fertà (08.08.2021)
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