Laghi di Sagnasse
Eindrückliche Tour auf einem einfach zu begehenden Höhenweg zu zwei idyllisch gelegenen Bergseen. Einer der Klassiker im Val Grande di Lanzo, die Laghi di Sagnasse sind an Schönwetterwochenenden ein beliebtes und dementsprechend frequentiertes Ausflugsziel, ohne überlaufen zu sein. Unter der Woche begegnet man jedoch selbst im Sommer unterwegs kaum einer Menschenseele.
Die Wanderung beginnt in Rivotti (1452 m), ein aus mehreren Häusergruppen bestehender Ortsteil von Groscavallo. Die Uhren ticken hier oben ein wenig anders als unten im Talboden, unter der Woche blickt man meist auf verschlossene Fenster und Türen, keine Menschenseele weit und breit. Rivotti war einst ganzjährig bewohnt, die weitgehende Einstellung der traditionellen Berglandwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg und die damit verbundene Abwanderung haben den Ort geleert. Und wer seinerzeit geblieben ist, ist mittlerweile gestorben. Zurück bleibt ein etwas verschlafen wirkendes Nest, der idyllisch auf einer sonnigen Lichtung gelegene Ort scheint in sich selbst zu ruhen. Viele Anwesen werden zwar noch gepflegt und instandgehalten, sie sind aber nur im Sommer oder am Wochenende bewohnt. Im Winter regiert hier die Stille. Mitten auf einer Wiese steht die historische Cappella dei Rivotti, historischen Überlieferungen zufolge wurde das Gotteshaus um das Jahr 1590 erbaut. Auffällig und besonders ist hier, dass Kirchturm und Kirchenschiff baulich voneinander getrennt errichtet wurden.
Oberhalb der Kirche weisen Schilder den richtigen Weg, nach wenigen Schritten endet der lästige Asphalt. Bei einer Schranke nimmt man den grasigen breiten Weg, der in wenigen Minuten hinauf nach Crest (1534 m) führt. Die Hütehunde verteidigen lautstark ihr Revier, ansonsten geht es hier freundlich zu, die winzige Alpsiedlung ist in den Sommermonaten bewohnt. Weiter oben überquert man das parallel verlaufende Fahrsträsschen und erreicht in Kürze Balmes (1604 m), eine wunderschön gelegene Alp am Talausgang des Vallone di Vercellina. Am Waldrand ein hübsch renoviertes Anwesen, was von einem Aussteiger aus der Tiefebene bewohnt wird. Der Hausherr ist nicht weit, ein zivilisationsmüder Mittsechziger mit zotteligen grauen Haaren und langem Rauschebart. Ein Anpacker und ein Arbeitstier, ein Gang durch sein Haus offenbart handwerkliches Geschick, Kreativität und viel Sinn für schöne Kleinigkeiten. Gemütlich ist es in der warmen Stube, im Ofen knistert das Feuer, daneben Kochtöpfe und gusseiserne Pfannen, die Wände hängen voller persönlicher Erinnerungen. Es vergingen Jahre, bis alles so geworden ist, wie er stolz berichtet. Auch die mächtigen Balken der Dachkonstruktion hat er selbst gesägt, montiert und hinterher mit schweren Gneisplatten gedeckt. Die untere Gebäudehälfte wird von einem Freund bewohnt, der aber nicht dauerhaft hier lebt.
Von Balmes folgt man den GTA-Wegweisern Richtung Colle della Crocetta, über die Weiden geht es zunächst im Vallone di Vercellina talaufwärts. Mitten auf einer Wiese am Waldrand ragt der Decollo dei Rivotti (1670 m) in den Himmel, eine geschnitzte Holzskulptur mit dreieckiger platter Nase, breitem Lächeln und steinernem Hut. Originelle Handwerkskunst mitten im Nirgendwo, er steht da wie ein einsamer Wächter über Berg und Tal. Dann gabelt sich der Weg, das Tal bleibt links liegen, wenig später ist man umzingelt von Lärchen. Der spärliche Pfad windet sich zwischen heruntergefallenen Ästen einen steilen Geländerücken hinauf, unter den Füssen weicher Waldboden, am Wegesrand riesige Ameisenhaufen. 20 Minuten später lichtet sich der Wald und eröffnet weite Blicke. Nun folgt ein besonders schöner Wegabschnitt, ohne nennenswerte Höhenunterschiede wandert man zwischen Alpenrosen, Wacholderbüschen und Heidelbeersträuchern weiter Richtung Westen, das tolle Panorama begleitet einen auf Schritt und Tritt. Nach einer Weile knickt der Weg nach Norden ab, vor einem das weitläufige Alpgebiet des Vallone dell‘Alpetta, ein kleines Seitental am Fuss des Monte Morion. Bei den aufgegebenen Hütten der Gias Giautè (1772 m) verlässt man den markierten Pfad und geht weglos über sanft gewellte grasige Matten hinauf zur Gias Alpetta (1847 m). Verlaufen ist hier unmöglich, das Gebimmel der Kuhglocken hört man bereits von weitem, die wunderschön gelegene Alp ist in den Sommermonaten zeitweise bewirtschaftet. Ein gastlicher Ort, hier fühlt man sich sofort willkommen, wenn die Familie anwesend ist, dauert es nicht lange, bis man hereingebeten wird und der Espresso auf dem Herd steht. Sommer für Sommer verbringen sie mit ihren Tieren im Vallone dell‘Alpetta. Die Weidesaison beginnt meist Mitte Juni, zuerst leben sie auf der etwas unterhalb gelegenen Gias Primavera, dann kommen sie hier hinauf auf die Gias Alpetta, sobald genug Futter zur Verfügung steht, ziehen sie im August vorübergehend weiter auf die höhergelegenen Weiden der Gias Pian delle Cialme. Der Name Gias ist eine in dieser Gegend häufig verwendete Bezeichnung für eine Alp oder Alm.
Die nächste Stunde kann man genüsslich Schlendern, zunächst geht es ein Stück bergab. Das schmale Zufahrtssträsschen zur Gias Alpetta mündet alsbald in eine weitere unbefestigte Alpstrasse. An dieser Stelle erreicht man den sogenannten Sentiero Balcone, ein aussichtsreicher Höhenweg auf der Sonnenseite des Val Grande di Lanzo. Über einige Serpentinen windet sich das Schottersträsschen weiter talaufwärts, das Panorama wird immer eindrücklicher. Mit jedem Schritt nähert man sich dem Alpenhauptkamm mit der Gipfelkette zwischen der Uja di Ciamarella (3676 m) und der Punta Girard (3262 m), eine gewaltige Kulisse mit vielen wilden Graten und Türmen. Die Wände sind zerfurcht von steilen Rinnen, riesigen Schuttfeldern und steinigen Moränen. Mittendrin die spärlichen Überreste der beiden Mulinetgletscher, immer mehr schneearme Winter und steigende Temperaturen mit immer heisseren Sommern haben sie mächtig schrumpfen lassen. Höhere Gewalt? Oder die unabänderlichen Folgen des Klimawandels? In wenigen Jahren werden die Eisflächen vermutlich ganz aus dem Landschaftsbild verschwunden sein. Es folgt ein längerer flacherer Wegabschnitt, an den Hängen ausgedehnte Geröllfelder, ringsherum liegen riesige Steine in der Landschaft rum. Dann ein besonders auffälliger Felsbrocken, man könnte meinen, hier wäre ein Meteorit eingeschlagen. In der Nähe rauscht der Rio Sagnasse zu Tal, auf den Wiesen blühen im Frühsommer Alpen-Kuhschellen, Enzian, Schlangen-Knöterich und Trollblumen. Zwei Kurven weiter die Hütten der Gias Crest (1880 m), spartanische Behausungen für Mensch und Tier, einst aus fein säuberlich aufeinandergeschichteten Steinen errichtet. Das Schicksal dieser Alp ist bereits besiegelt, einer der Ställe ist noch intakt, von den anderen Gebäuden stehen nur noch die Grundmauern. Zurück bleiben Erinnerungen, zerborstenes Gebälk und herumliegende Trümmer. Dann erreicht man den Rand einer weiten Hochebene, ein wenig unterhalb die Hütten der in den Sommermonaten bewirtschafteten Alpe Pià Nou (1853 m). Eine Idylle wie aus dem Bilderbuch, ringsherum saftig grüne Weiden mit glücklichen Kühen, das Gebimmel der Glocken sorgt für die passende Begleitmusik.
Bleibt noch der halbstündige Schlussanstieg. Bei einem Wegweiser in einer Kurve verlässt man die Alpstrasse bzw. den Sentiero Balcone und steigt auf einem ausgetretenen und gut markierten Alpweg einen grasigen Hang hinauf. Oben angekommen darf man erstmal verschnaufen, vor einem eine kleine Verebnungsfläche mit den Hütten der Gias dei Laghi (2076 m). Ringsherum wuchert der Alpen-Ampfer, eine dominierende Pflanzengattung der sogenannten Lägerflur. Diese findet man recht häufig in der Umgebung von Alpgebäuden, wo sich Weidetiere über viele Jahre regelmässig aufgehalten haben. Die Alp ist nur wenige Wochen im Jahr bestossen, meistens im August oder September, der Geruch von Gülle und Mist liegt dann in der Luft. Von den umliegenden Weiden ertönt Glockengebimmel und das Gemecker der Ziegen, den Rest des Jahres liegt hier alles im Dornröschenschlaf. Bis zu den Laghi di Sagnasse sind es nur noch wenige Schritte, der untere der beiden Seen ist bereits zu sehen. Um zum oberen zu gelangen, folgt man einfach der Wegspur bei den Alphütten bis an den nördlichen Rand der Weiden. Eingebettet von lieblichem Grün ruht er vor sich hin, das Ufer ist übersät von Wollgras, mitten durch die Wiesen sprudeln kleine Rinnsale. Mit etwas Glück kann man von hier Bartgeier beobachten, die an der felsigen Südostflanke des Barrouard (2858 m) ihre Kreise ziehen. An windstillen Tagen spiegeln sich die umliegende Berge in dem malerischen Gewässer, die perfekte Kulisse zum Entschleunigen. Anders, aber nicht weniger eindrucksvoll ist das Ambiente am unteren der beiden Laghi di Sagnasse (2053 m), den man auf einem unmarkierten Ziegenpfad in wenigen Minuten erreicht. Die Umgebung ist ein wenig schroffer und wilder, überall liegen dicke Brocken herum, mitten im See eine kleine Felsinsel. Man suche sich ein gemütliches Plätzchen, einfach nur sitzen und der Stille lauschen, der Rest der Welt bleibt aussen vor...
Der Rückweg verläuft bis zum Abzweig zur Gias Alpetta auf der Aufstiegsroute. Hier bleibt man auf dem Sentiero Balcone und folgt dem Verlauf der unbefestigten Alpstrasse. Sie führt in Kürze hinab nach Mojes (1705 m), eine aufgegebene Alp mit einer handvoll steinerner Hütten am Talausgang des Vallone dell‘Alpetta. Ein beschaulicher Ort mit tollem Panorama, von hier überblickt man nahezu das ganze Val Grande di Lanzo, vom Monte Bellavarda im Osten bis zum Alpenhauptkamm im Westen. Durch lichten Birkenwald trabt man gemütlich weiter abwärts nach Balmes (1604 m), dort verlässt man die Alpstrasse und kehrt auf dem Aufstiegsweg nach Rivotti (1452 m) zurück.
In den untenstehenden Fotogalerien findet ihr zahlreiche Eindrücke aus allen vier Jahreszeiten.
- Mai bis Oktober
- T1 auf dem Sentiero Balcone
T2 auf allen anderen Wegen - 4 Std.
- Höhenunterschied: 631 m
- Ausgangs- und Endpunkt: Rivotti (1452 m, Frazione di Groscavallo), Zufahrt von Pialpetta über eine schmale und kurvenreiche Bergstrasse (4 km)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (04.01.2019)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (02.05.2019)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (04.07.2019)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (25.10.2019)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (06.05.2020)
Rivotti - Mojes - Laghi di Sagnasse (29.07.2020)
Rivotti - Crest - Balmes - Mojes - Laghi di Sagnasse (05.10.2020)
Rivotti - Crest - Balmes - Mojes - Laghi di Sagnasse - Gias Alpetta - Alpe Invers - Rivotti (05.04.2021)
Rivotti - Crest - Balmes - Mojes - Laghi di Sagnasse (01.06.2021)
Rivotti - Crest - Balmes - Mojes - Laghi di Sagnasse - Alpe Pià Nou (19.10.2021)
Rivotti - Balmes - Alpe Invers - Gias Giaute - Gias Alpetta - Mojes - Laghi di Sagnasse (07.01.2022)
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