Punta delle Serene
Längere und bisweilen stramme Tour auf wenig frequentierten aber meist unschwierig zu begehenden Pfaden. Die Punta delle Serene ist ein wenig bekanntes und wegen des langen Zustiegs eher selten besuchtes Gipfelziel über dem oberen Val d‘Ala. Wegen der Länge der Tour ist ein früher Aufbruch empfehlenswert, am besten bereits vor Sonnenaufgang, bei stabilem Wetter erwartet einen jedoch ein unvergessliches Bergerlebnis in völliger Einsamkeit. Mit ein wenig Glück kann man unterwegs Gämsen und Steinböcke beobachten.
Die Wanderung beginnt bei dem kleinen Weiler I Frè (1505 m), ein Ortsteil von Balme im Vallone del Paschiet, ein wildromantisches Seitental des oberen Val d‘Ala, was von den Einheimischen auch Val Servin genannt wird. Bei einem kurzen Bummel durch die schmalen Gassen des nur aus wenigen Häusern bestehenden Ortes fühlt man sich sofort wie auf einer Zeitreise. Die Zeit scheint hier in der Tat stehengeblieben zu sein, alles ist noch so wie früher, jahrhundertealte Häuser und Ställe, die Dächer sind traditionell mit schweren Gneisplatten gedeckt, den sogenannten „Lose“. In den Wintermonaten herrscht hier Grabesstille, man begegnet meist keiner Menschenseele, keines der Häuser ist heute noch dauerhaft bewohnt. Im Verlauf des Frühlings kehrt dann das Leben in das beschauliche Dorf zurück. Polly, eine liebenswerte und überaus lebenslustige Bäuerin in den Endsechzigern schmeisst hier von Mai bis Oktober gemeinsam mit ihrem Neffen Simone den Laden. Sie selbst ist vor einigen Jahren in Pension gegangen, Simone hat nach dem Abschluss seines Studiums unterdessen den landwirtschaftlichen Betrieb von ihr übernommen. Polly ist jedoch nach wie vor mitten im Geschehen, sie ist kein Mensch, der sich einfach so zur Ruhe setzen kann, Ihre tägliche Arbeit und ihre Tiere sind ihr Lebensmittelpunkt. Von den nahen Weiden ertönt das Gebimmel der Kühe, Schafe und Ziegen, vor ihrem Haus und in den Gassen herrscht rege Betriebsamkeit, ein sympathisches Durcheinander von gackernden Hühnern, kreischenden Hähnen, Moschusenten und bisweilen aufdringlichen Gänsen. Mitten durch das Gewimmel streunen noch zahllose Katzen, Pollys Hütehunde kündigen bereits lautstark meinen Besuch an. In einem der uralten Steinhäuser hat Polly ein kleines privates Museum eingerichtet, eine sehenswerte Sammlung von Alltagsgegenständen, Möbeln und Werkzeugen, die einen interessanten Einblick in die Lebensweise der einstigen Bergbewohner vermitteln. Im August ziehen Polly und Simone vorübergehend mit den Tieren für einige Wochen auf die Alp nach La Comba, im Winter wohnt Polly in ihrem Haus in Cornetti. Während der Sommermonate verkaufen die beiden selbstgemachten Toma di Lanzo. Toma (piemontesisch für Käse) ist eine Sammelbezeichnung für eine Familie von Käsesorten. Sie unterscheiden sich geschmacklich stark, nahezu alle werden aus Kuhmilch produziert, die meisten von ihnen sind halbfest oder weich. Oft wird für einen Toma Rohmilch aus zwei verschiedenen Melkgängen (einer morgens, einer abends) genommen. Ein Tomino ist eine kleinere, frischere Variante dieser Käseart.
Die ersten beiden Stunden sind identisch mit der Wanderung zur Alpe Pian Gioè. Von den Häusern von I Frè (1505 m) folgt man dem unbefestigten Fahrweg, der hinauf nach Arbosetta (1539 m) führt. Die hübsch gelegene Alp besteht nur aus wenigen Gebäuden und ist in den Sommermonaten von einem älteren Bergbauern bewohnt. Bei den Hütten beginnt der alte Saumpfad (ital. = Mulattiera) nach La Comba, der Weg ist gut markiert und verläuft zunächst im Wald durch ein kleines abgeschiedenes Seitental. Alternativ kann man auch auf der parallel verlaufenden unbefestigen Alpstrasse bleiben, die der Wanderweg mehrfach kreuzt. Nach einem 45-minüten Anstieg erreicht man eine grosse Lichtung mit den Alphütten von La Comba (1746 m). Das Gebimmel der Kuhglocken hört man bereits von Weitem, ein lauschiges Plätzchen für eine kurze Rast, wenn Polly und Simone im August vor Ort sind, dauert es nicht lange, bis eine Tasse Espresso auf dem Tisch steht. Ansonsten regiert hier oben die Stille. Von La Comba folgt man zunächst dem Alpsträsschen, nach einer Weile zweigt links bei einem Wegweiser ein markierter Pfad ab. Dieser führt durch lichten Lärchenwald in einer guten halben Stunde hinauf auf die aussichtsreich gelegene Alpe Pian Gioè (1958 m), auch hier grasen in den Sommermonaten einige von Pollys Kühen auf den umliegenden saftigen Weiden. Auf der gegenüberliegenden Talseite trohnt die gewaltige Uja di Ciamarella (3676 m), die höchste Erhebung der drei Lanzo-Täler. Ein malerischer Ort, es lohnt sich, hier einen Moment zu verweilen und in die Ferne zu schauen.
Oberhalb des noch intakten Alpgebäudes der Alpe Pian Gioè befindet sich ein Wegweiser, man folgt der Beschilderung (Weg 217) und überquert in südwestlicher Richtung die weite Hochebene. Dann beginnt der Weg anzusteigen, zwischen Teppichen von Alpenrosen und Erlengebüsch schlängelt sich der Pfad hinauf auf einen grasigen Rücken, dem man nun eine Weile folgt. Im Sommer verliert sich die hier spärliche Pfadspur bisweilen im hohen Gras, der Weg ist jedoch nicht zu verfehlen, auf diesem Abschnitt trifft man immer wieder auf Holzpflöcke mit rot-weissen Markierungen und vereinzelte Steinmännchen. Weiter oben erreicht man eine weitere kleine Hochebene mit den Weiden der Alpe Giasset (2236 m). Bei dem einzelnstehenden und noch instandgehaltenen Alpgebäude knickt der Pfad kurz Richtung Süden ab und führt in Kürze auf einen Geländerücken. Dahinter geht es wenige Meter bergab, im weiteren Verlauf wandert man nun wieder westwärts, am nördlichen Rand eines lieblich-grünen Hochtals führt der Weg nun sanft ansteigend über grasige Matten hinauf zu den Hütten von Il Crot (2275 m). Einst blühte hier im Sommer das Leben, auf den saftigen Wiesen weideten Kühe, Schafe und Ziegen. Nach dem Zusammenbruch der traditionellen Alpwirtschaft nach dem zweiten Weltkrieg hat sich Mensch aus vielen entlegenen Berggebieten weitgehend zurückgezogen, so auch hier. Die meisten der jahrhundertealten Alpgebäude liegen heute in Ruinen, von manchen stehen nur noch die Grundmauern. Was bleibt, sind die Erinnerungen an eine längst vergangene Zeit. Kurz darauf erreicht man den Laghetto del Crot (2294 m, in den Wanderkarten nicht eingezeichnet), nur wenige Schritte jenseits des winzigen Sees befindet sich der wesentlich grössere Lago del Giasset (2297 m, ohne Namensangabe in den einschlägigen Karten, im Gelände auf den Wegweisern jedoch fälschlicherweise als Lago del Crot bezeichnet), der in einer Geländemulde friedlich vor sich hinruht. So ganz alleine ist man jedoch nicht an diesem scheinbar gottverlassenen Ort. Aus der Ferne hört man das Scheppern einiger Kuhglocken, auf den Weiden in der Umgebung des Sees grasen in den Sommermonaten einige Rinder, die jedoch sich selbst überlassen sind.
Nach einer kurzen Rast ist nun wieder Schwitzen angesagt. Jenseits des Sees windet sich der nach wie vor gut markierte Weg einen steilen grasigen Hang hinauf. Etwa 150 Höhenmeter weiter oben erreicht man einen Kamm mit einigen interessanten Felsformationen. Dieser Abschnitt ist problemlos passierbar, zwischen den riesigen Felsblöcken trifft man unverhofft auf einen schmalen Durchgang. Die Landschaft wird rauher und wilder, man blickt über ein karges Hochtal mit einigen Blockfeldern, die jedoch umgangen werden. Auf der anderen Seite geht nun zunächst auf steinigem Pfad etwa 50 Höhenmeter hinab in den Talboden. Dann folgt man dem Talverlauf Richtung Westen, der Weg führt hinauf auf einen grasigen Kamm mit dem Sattel von Colletto (2455 m, ohne Namensangabe in den einschlägigen Karten) am Fuss eines markanten, aber namenlosen Felsgipfels. Ein wenig unterhalb des Sattels befinden sich die Ruinen der gleichnamigen Alp. Hier trifft man auf einen Wegweiser, der Abzweig zur Alpe Pontat bleibt unbeachtet. Der Weg windet sich weiter talaufwärts, das Gipfelziel nun bereits vor Augen. Nach einer Weile überquert man ein kleineres Blockfeld, im weiteren Verlauf verliert sich die bis hierhin deutlich erkennbare Pfadspur, auch die Markierungen werden seltener. Ausser bei dichtem Nebel bestehen jedoch keine Orientungsprobleme, man folgt einfach dem Verlauf des breiten Talbodens und erreicht schliesslich ohne weitere Schwierigkeiten den Colle delle Pariate (2570 m). Vorhang auf. Dort oben angekommen empfängt einen wilde und felsige Szenerie, das Panorama ist bereits von hier ziemlich beeindruckend. Richtung Westen blickt man auf die hochalpine Kulisse über dem Talschluss des Val d‘Ala mit dem Monte di Bessanetto (2939 m) und der gewaltigen Ostwand der Bessanese (3604 m), im Norden erhebt sich majestätisch die Uja di Ciamarella (3676 m).
Bleibt noch der Schlussanstieg zum Gipfel. Der Wegbeginn vom Colle delle Pariate ist anfangs ein wenig unklar, man folgt einfach weglos dem Verlauf der steilen Abbruchkante am Westgrat der Punta delle Serene, einige exponierte Felsen kann man problemlos umgehen. Wenig später trifft man auf eine bereits von Weitem sichtbare Wegspur, die mit vereinzelten Steinmännchen markiert ist. Auf dieser steigt man in einer knappen Viertelstunde ohne weitere technische Schwierigkeiten durch die grasige Südflanke hinauf auf den Westgrat, auf diesem in wenigen Minuten weiter bis zum Gipfelkreuz auf der Punta delle Serene (2645 m). Ziel erreicht, Rucksack absetzen, Picknick auspacken und entschleunigen. Ein herrliches Fleckchen zwischen Himmel und Erde mit einem fantastischen Panorama. Nach dem langen Aufstieg hat man sich das verdient.
Nach einer ausgiebigen Gipfelrast wird es Zeit für den langen Abstieg, der mangels Alternative auf dem Aufstiegsweg verläuft. Dabei sollte man sich Zeit lassen und nicht einfach schnell wieder ins Tal rennen. Bis auf die beiden kurzen Gegenanstiege geht es nur noch bergab, auf vielen Abschnitten kann man entspannt hinabschlendern. Am späten Nachmittag hat man die Sonne im Rücken, alles bereits am Wegesrand gesehene erscheint bisweilen in einem anderen Licht. Die Gegend ist voller schöner Eindrücke, zwischendurch lohnt es sich, einfach mal den Rucksack abzusetzen und sich in aller Ruhe ein wenig näher umzuschauen. Der Weg ist das Ziel.
- Juni bis Oktober
- T2
T3 auf einigen kurzen Abschnitten - Gehzeit: 8,0 Std.
- Höhenunterschied: ca. 1200 m
- Ausgangs- und Endpunkt: I Frè (Frazione di Balme, 1505 m)
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